Tom Lüthi wird den GP Shanghai so schnell wie möglich vergessen wollen (nach verkorkstem Start schied er schon früh aus), mir wird er in guter Erinnerung bleiben.
Vorletzte Woche hatte ich einen Anruf von Herrn Willi, dem Schweizer Generalkonsul in Shanghai, gekriegt, und er hatte mich gefragt, ob Frau Xie und ich Lust hätten, am Rennwochenende die Strecke und das Fahrerlager zu besichtigen. Es würde ein kleiner Ausflug organisiert, am Samstag, zum Abschlusstraining.
Natürlich waren wir Feuer und Flamme, erst recht, als wir hörten, die Reise zur Rennstrecke finde in Seitenwagen-Motorrädern statt.
Sie müssen wissen, liebe Leserinnen und Leser, dass ich ein paar ziemlich komische Idole hatte als Jugendlicher. Werner Günthör, der Kugelstösser, gehörte dazu (weil er am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich), Hippolyt Kempf, der Nordisch Kombinierer (weil er trotz dieses komischen Vornamens Olympiasieger wurde und, ja, weil er aus Luzern kommt) und schliesslich Rolf Biland und Kurt Waltisperg, zwei sehr unerschrockene Seitenwagen-Rennfahrer, die in meiner Jugend diverse Weltmeistertitel einfuhren, und denen meine ungeteilte Bewunderung galt (ok, den Amerikaner Kevin Schwantz fand ich auch ziemlich cool, aber das hatte andere Gründe).
Ich konnte es jedenfalls kaum erwarten, endlich einmal Biland/Waltisperg-mässig in die Kurve liegen zu können.
In Shanghai gibt es einen Seitenwagen-Liebhaber-Club, die Jungs und Mädels fahren auf ziemlich antiken chinesischen Maschinen, die auffällig an deutsche BMW-Modelle erinnern.
Mir wurde ein Franko-Japaner namens Kenji als Fahrer zugeteilt, Frau Xie fuhr bei einer Französin namens Corinne mit, in einem kitschrosaroten Motorrad.
Um drei Uhr nachmittags bretterten wir los, und mir wurde erstmals bewusst, was es heisst, in einem Seitenwagen mitzufahren. Man hat den Kopf auf Höhe des Kühlergrills der vorbeifahrenden Autos, und weil das Tragen eines Helms in Shanghai eher locker interpretiert wird, schützten wir uns lediglich mit modischen Sonnenbrillen.
Einmal mehr verfluchte ich mich dafür, im Jahr 2002 mit dem Rauchen aufgehört zu haben, nach einer halben Stunde Fahrt hatte ich das √Ñquivalent von 16’400 Schachteln Winston Lights eingeatmet, meine Zunge fühlte sich seltsam pelzig an und ich spuckte regelmässiger aus dem Seitenwagen als ein Taxifahrer aus seinem VW Santana 2000.
Nach knapp zwanzig Minuten Fahrt (auf der Autobahn) wurden wir von der Polizei an einer Mautstelle gestoppt und umgeleitet. Den Polizisten war das Spektakel ganz offensichtlich nur wenig geheuer.
Mit ziemlich viel Verspätung erreichten wir kurz vor dem Eindunkeln die Rennstrecke, hatten aber noch genügend Zeit, mit den Schweizer Fahrern (Lüthi, Krummenacher, √Ñgerter), ein paar Worte zu wechseln und ein paar Eindrücke von der Rennstrecke zu sammeln.
Danach machten wir uns auf den Rückweg und liessen uns erneut von allerlei Fein- und Grobstaub beschiessen. Als wir um 19.30 Uhr zu Hause ankamen, mussten wir im Spiegel feststellen, dass unsere Gesichter schwarz waren von Dreck, Staub und Abgasen. Wir lachten kontrastreich darüber, wuschen uns den Dreck aus den Augen und tranken eine Flasche Champagner. Biland/Waltisperg, quasi.